Wie sieht Europas Zukunft aus? – Ein Kommentar von Ludger Ramme* zur Europa-Wahl
Über 200 Millionen Wähler – ein Rekord – sind Ende Mai zu den Urnen geeilt und haben Politikern ihre Stimme anvertraut. Das ist aus Sicht der Führungskräfte eine sehr gute Nachricht. Sie zeigt: Die Menschen wollen eine Europäische Union. Der hohe Grad an Mobilisierung ist nicht zuletzt ein Ergebnis der vielen Wahlaufrufe, darunter auch die erfolgreiche Kampagne #ManagersforEU des europäischen ULA-Dachverbandes CEC.
In allen EU-Mitgliedstaaten haben weniger Populisten und Extremisten Stimmen erhalten als zunächst befürchtet. Was in Deutschland als Abstrafung der Berliner Großen Koalition wahrgenommen wurde, hat im Europäischen Parlament die jahrzehntealte Zweiparteienkoalition aus Sozialisten und Christdemokraten beendet. Die Liberalen sind zur dritten Kraft emporgewachsen. Dies wird in Zukunft viel Bewegung in die Debatten im Parlament bringen.
Für die Führungskräfte und ihre politische Interessenvertretung CEC European Managers könnte dies sehr positive Effekte haben. Die Chancen, Unterstützung für eine neue Resolution des Europäischen Parlaments über die Führungskräfte zu erhalten, sind gestiegen. Jedenfalls haben die EU und das Europäische Parlament nun die Chance, neue Brücken in Richtung Bürger zu bauen und das viel beklagte Demokratiedefizit abzubauen.
Derweil liegen die wahren Herausforderungen für die Zukunft Europas ganz woanders: Der Kontinent ist zwar der größte Binnenmarkt der Welt. Ihr ökonomisches Gewicht kann die EU aber nicht richtig nutzbar machen. Die Weltmächte China, USA und Russland reiben Europa derzeit zwischen sich auf. Sie bringen – jeder für sich – nicht nur mehr Landmasse auf die Waage, sondern haben auch viel größere militärische Apparate. Sie sind zentralistischer strukturiert und vor allem nicht zimperlich mit dem Einsatz ihrer wirtschaftlichen und militärischen Stärke zu ihrem Vorteil.
Europa wirkt neben dem Drohpotenzial der drei Großmächte eher wie ein Operettenstaat. Mit keinem der großen Drei wird sich Europa jemals in eine militärische oder wirtschaftliche Auseinandersetzung begeben können. Dies würde es auch nicht anstreben. Die Europäische Union muss daher in den kommenden Jahren eine kluge Politik der Kooperation mit allen drei Großmächten voranbringen. Die wirtschaftliche Verflechtung, seien es Rohstoffhandel, fairer Handel und Austausch von Menschen und Dienstleistungen, sollte eine so starke globale Vernetzung bewirken, dass eine Frontbildung ihren Sinn verliert.
Gleichzeitig sollte Europa endlich seinen südlichen Nachbarn wahrnehmen. Hier liegt der Schlüssel für die Lösung vieler Probleme: Die Völker Afrikas brauchen eine Perspektive. Andernfalls wird das, was in Deutschland Flüchtlingskrise genannt wird, nur ein erster Vorgeschmack auf das sein, was noch kommt. Europäer sollten die Zusammenarbeit mit Afrika beherzt angehen – in ihrem eigenen Interesse. Nicht nur, um Anreize gegen Masseneinwanderungsdruck zu setzen, sondern auch, um Kunden und Märkte von morgen zu erschließen.
Der BDI und der Afrikaverein der deutschen Wirtschaft haben diese Chancen erkannt. Was fehlt, ist eine breite Unterstützung der Politik. Auch hier scheinen die etablierten Parteien ihrer Zeit hinterher zu hängen.
*Ludger Ramme ist Präsident des europäischen ULA Dachverbandes CEC und Hauptgeschäftsführer der ULA.
Der Artikel ist erschienen in der Juni-Ausgabe der ULA-Nachrichten.